Nach der Abtreibung: Zeugnisse über die Qual danach

Svenja T.
(...)
Eines Tages überraschte mich mein Freund. Ich war gerade 27 geworden. Er zog mit Sack und Pack bei mir ein und überzeugte mich, dass wir für immer zusammenbleiben und ein Kind bekommen sollten. Ziemlich skeptisch, aber irgendwie auch froh über seine Haltung, setzte ich die Pille ab. Es dauerte ungefähr zwei Monate, dann merkte ich, dass ich schwanger bin. Ich ging in die Stadt und kaufte ein kleines Kinderstühlchen, das ich rot anmalte und nachdem es getrocknet und lackiert war, habe ich es eines Morgens auf den Frühstückstisch gestellt. Ich nahm an, dass er sich freuen würde. Das war aber nicht der Fall. Ganz entgeistert, ja wütend starrte er den Frühstückstisch an und begriff sofort, was los war. Ich weiß gar nicht mehr, was ich selbst gedacht habe, aber ich weiß noch, dass ich seine Reaktion nicht wahrhaben wollte. Zu dem roten Kinderstühlchen habe ich noch den Schwangerschaftstest auf seinen Teller gelegt, der ganze Tisch strahlte irgendwie aus, dass wir Nachwuchs bekommen. Schließlich aber konnte ich mir nichts mehr vormachen über das, was ich da soeben hörte. Er schrie mich an, dass ich ihn reingelegt hätte, dass er nicht so schnell damit gerechnet hätte und dass er auf keinen Fall schon ‚so früh‘ Vater werden wolle, ob er überhaupt der Vater sein könne und so weiter und so fort. Ich erkannte ihn nicht wieder, aus meinem freundlichen Partner war ein giftsprühender Schakal geworden, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Seinen Auftritt beendete er damit, dass er aus dem Haus ging und die Tür knallte, dass der Rahmen wackelte.

Ich rief bei einer Freundin an und die kam auf die Idee, dass er vielleicht nur überreagiert hat und sich erst mit der Situation vertraut machen muss, schließlich war er es doch gewesen, der das Zusammenleben mit einem Kind vervollständigen wollte, er sei nur durchgeknallt. Sie riet mir, ein paar Tage zu schweigen, meine gute Laune nicht zu verlieren und ihm Zeit zu lassen, dass er sich beruhigen kann. Ich tat, wie mir geraten wurde und schwieg über die Angelegenheit, er auch. Wir sprachen einfach nicht mehr davon, er blieb freundlich, aber reserviert. Nach einer Woche, in der ich viel bei meiner Freundin geheult hatte, bekam er schließlich mit, wie kotzübel mir morgens war, da kam er ins Bad und fragte mich, das werde ich nie vergessen: „Hast du es etwa immer noch im Bauch?“ Er schlug mir auf den Bauch und ins Gesicht und schrie: „Ich verschwinde jetzt und wenn ich in einer Woche wiederkomme, hast du gefälligst alles erledigt“.

Diesmal versuchte meine Freundin mir nicht mehr einzureden, dass er nur Zeit brauche, sondern wir riefen gemeinsam bei einer profa-Stelle an, aber nicht in meiner Stadt, ich wollte noch ein letztes Mal mit jemandem reden, der mir vielleicht Gründe nennen könnte, warum ich keinen Abbruch machen sollte. Wir riefen also eine Stelle im Ruhrgebiet an, bekamen einen Termin und fuhren dorthin, keine Viertelstunde später waren wir wieder draußen. Kein Gespräch, kein Widerstand, kein nichts. Mit einmal begriff ich, wie sich die Frauen fühlten, die bei mir einen Termin hatten: Man fühlt sich wie zwischen Baum und Borke, weil man gleichzeitig irritiert ist, dass kein Widerstand kam und einer heimlichen Freude darüber, dass die Abtreibung jetzt in Gang gesetzt ist. Dabei ist dieses ‚in Gang setzen’ das Letzte, was man will. Es ist irgendwie so, dass man neben sich selbst steht und zuguckt, was geschieht.

Meine Freundin nahm fast alles in die Hand und ging auch mit zum Abbruch.

Während der Operation hatte ich Halluzinationen. Ich war auf einer wunderschönen Waldlichtung, auf der herrlich gewachsene Kirschbäume standen, ich dachte noch, was soll das: Kirschen, und bestaunte alles. Gleichzeitig kam ein Hubschrauber, der auf der Lichtung landete, viele Kinder saßen darin, eines davon stieg aus, ging mit ausgestreckten Armen auf mich zu und weinte bitterlich, sagte immer wieder irgendwas zu mir, das ich nicht verstand. Voller Entsetzen starrte ich sie an, es war ein Mädchen, und konnte mich vor Schreck nicht bewegen. Irgendwie hatte ich eine schreckliche Angst. Als ich mich nicht bewegte, ging sie schließlich, mit ausgestreckten Armen und lauten Schluchzern, rückwärts wieder zum Hubschrauber, wo rohe Hände, nur die Hände sah ich, sie hineinzerrten. Er schwebte eine Weile über mir und ich konnte die erstarrten Gesichter all der anderen Kinder erkennen. Es waren so viele und ich konnte gar nicht begreifen, dass so viele von ihnen da hineinpassten. Schließlich entschwand der Hubschrauber und die Kirschbäume wurden mit einmal rabenschwarz und warfen alle Früchte und die Blätter ab. Das erschreckte mich zu Tode.

Als ich aufwachte, sah ich noch die anderen Frauen im Raum, einige weinten. Ich nicht. Ich war noch so gefangen von meinem Traum. Hin und wieder kam die Sprechstundenhilfe und holte eine von uns zur Nachuntersuchung. Dann ging es nach Hause. Diesen Raum, mit den Liegen, der weißen Bettwäsche und der mir unwirklich erscheinenden Atmosphäre werde ich niemals vergessen. Das KANN ich nicht vergessen.

Denn jedes Mal, wenn ich abends ins Bett gehen möchte, geschieht etwas Schreckliches: Ein großes, riesengroßes schwarzes Etwas erscheint, geht mit ausgebreiteten schwarzen Ärmeln, die herunterbaumeln auf mich zu und zwingt mich, mich hinzulegen. Dann legt sich das große schwarze Etwas auf mich drauf. Es spricht nicht, aber ich weiß, es will mir eines Tages die Kehle zudrücken. Es übt und irgendwann gelingt es. Ich liege dann da, ganz bewegungslos, kann es nicht abschütteln und höre mich weinen, bevor ich schließlich in Ohnmacht falle. Ohnmacht, denn Schlaf ist es nicht. Mir bleibt dann nur noch, darauf zu warten, dass mein Lebensgefährte endlich wieder zurück kommt und dass er mir hilft, das alles wieder abzuschütteln.

Bis heute bereue ich, jemals einer Abtreibung zugestimmt, jemals einen Beratungsschein ausgestellt und selbst eine Abtreibung gemacht zu haben.

Erst wurde ich krankgeschrieben, jetzt lebe ich von Hartz IV. Damit mir nicht die Decke auf den Kopf fällt, habe ich morgens eine Putzstelle angenommen. Die alte Dame tut mir gut und ich versuche, ihr das Leben zu erleichtern. Sie war es auch, die mir die Adresse von Tiqua e.V. - www.tiqua.org gegeben hat.

Svenja T.

Internetquelle ==> tiqua.org/?cat=6

(LWT)

Tiqua.org
" ... Mir ist in den über 40 Jahren noch keine einzige Frau begegnet, die nach Abtreibung tatsächlich symptomfrei geblieben wäre – bei einigen Frauen treten sie zwar erst viel später auf (ich habe Briefe bekommen, in denen mir Frauen schreiben, sie können nicht sterben, obwohl sie alt und krank sind, da sie nicht mit der Abtreibung zurechtkommen), als bei den meisten, aber symptomfrei blieb bisher keine. Auffällig ist, dass viele Frauen zwar immer wieder äußern, dass „da nichts zurückgeblieben“ sei, aber das nachfolgende Gespräch lässt unmissverständlich erkennen, dass sie sich etwas vormachen. Von symptomfrei-sein sind sie sehr weit entfernt. Alle Frauen haben vor der Abtreibung erwartet, dass sie danach wieder unbeschwert (mit den ganz normalen Schwierigkeiten, die das Leben so bietet) leben können, sie erwarteten, dass es danach so wäre, als ob sie vorher nicht schwanger waren. ..."

Internetquelle ==> tiqua.org/?cat=6

(LWT)

Sarah K.
(...)

Seit diesem Vorfall aber trage ich diese Frage mit mir herum. Warum hast du da im Auto gesessen, dich wie eine Verbrecherin gefühlt, wo du dir doch bis dahin so hilfsbereit vorkamst?

Mir wurde bald bewusst: Weil ich eine Verbrecherin BIN, deshalb kam ich mir auch so vor.

Das klingt hart, ist aber einfach die Wahrheit. Ich sorge dafür, dass Kinder umgebracht werden. Sehr viele von ihnen. Und ich bin auch noch stolz darauf, bei der Organisation zu arbeiten, die das nicht nur gerne tut, sondern die die meisten Kinder tötet. Einige von uns haben auch Minderjährige mit dem Beratungsschein ausgestattet und die notwendigen Abtreibungstermine in der Regel telefonisch, manchmal aber auch persönlich vereinbart, obwohl das Gesetz verbietet, Minderjährigen ohne Zustimmung des Erziehungsberechtigten Zugang zur Abtreibung zu gewähren.

Ich lebe davon, dass ich mithelfe, Kinder zu töten, indem ich meine Unterschrift auf jeden Beratungsschein setze. So ist es. Kurz und bündig. Und furchtbar. Und jetzt kann ich das nicht mehr länger ertragen.

(...)

Sarah K.

Internetquelle ==> tiqua.org/?cat=6

(LWT)



 

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